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Weiterbildungsstätten: Begegnungen auf Augenhöhe

Weiterbildungsstätten Über 200 Gesundheitsinstitutionen, die eine (erneute) Anerkennung als ärztliche Weiterbildungsstätte anstreben, werden jährlich von einem Visitationsteams des Schweizerischen Instituts für ärztliche Weiter- und Fortbildung (SIWF) besucht. Ein Effort, der sich für alle Beteiligten lohne, sagt der langjährige Visitator Urs von Wartburg im Interview.

Fabienne Hohl
SIWF/Freischaffende Journalistin

Das Visitationsteam unter sich (v.l.): Judit Schäfli-Thurnherr, André Rotzer und Urs von Wartburg.

Das Visitationsteam unter sich (v.l.): Judit Schäfli-Thurnherr, André Rotzer und Urs von Wartburg. (Foto: SIWF / Daniel Rodriguez)

Urs von Wartburg, Sie sind seit 2014 pensioniert und führen seit 15 Jahren Visitationen durch. Wie kommt es zu diesem unentwegten Einsatz?
Urs von Wartburg: Als Handchirurg habe ich über viele Jahre Assistenzärztinnen und Assistenzärzte weitergebildet und freue mich, wenn ich sie bei Visitationen auf Augenhöhe «abholen» kann. Dabei stelle ich immer wieder fest, wie motiviert und fähig der ärztliche Nachwuchs ist, und dass viele Weiterbildende die jungen Kolleginnen und Kollegen sehr gut betreuen. Für mich ist das Visitieren auch so bereichernd, weil man viele hoch engagierte und talentierte Leute kennen lernt und den Blick auf die Medizin und die Bildung stets aufs Neue erweitern kann. Gerade, wenn man als fachfremder Experte dabei ist.

Wie geht ein Visitationsteam vor, um ein aussagekräftiges Bild von der Qualität einer Weiterbildungsstätte zu erhalten?
Am Anfang steht das Lesen der Unterlagen, welche eine Weiterbildungsstätte vor der Visitation einreichen muss. Deren Kernelemente sind das Weiterbildungskonzept und die Fragebogen der Weiterbildungsstätten-Leitenden sowie der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung. Letztere äussern sich manchmal sehr offen und direkt und geben uns so gute Anhaltspunkte, wo wir genauer hinschauen müssen. Vor Ort führen wir kurze Einzelgespräche mit der Direktion des Spitals, den Leitenden der Weiterbildungsstätten, je nachdem auch mit leitenden Ärztinnen und Oberärzten, und vor allem mit einigen Assistenzärztinnen und Assistenzärzten, gefolgt von einem Rundgang durch das Haus und der Abschlussbesprechung im Visitationsteam. Bei den Gesprächen gilt der Grundsatz, dass alle Aussagen anonym bleiben und keine Rückschlüsse auf die Interviewten möglich sind. Zudem verstehen wir Visitierenden unsere Aufgabe und Rolle als unterstützend, nicht als primär kontrollierend, und treten respektvoll in Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen der Weiterbildungsstätten. Dies ermöglicht es uns auch, Antworten auf anspruchsvollere Fragen zu erhalten, und mit Verbesserungsvorschlägen Anklang zu finden.

Wie setzt sich ein Visitationsteam zusammen?
​​​​​​​Normalerweise besteht es aus drei Personen, bei Institutionen mit weniger als fünf Ärztinnen und Ärzten in Weiterbildung kann auch ein Zweierteam visitieren. Die Leitung des Visitationsteams wird von der zuständigen Fachgesellschaft bestimmt, der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (vsao) organisiert je eine Expertin oder einen Experten und das SIWF eine Person aus einer anderen ärztlichen Disziplin. Sollte die Leitung einer Weiterbildungsstätte mit den vorgeschlagenen Personen nicht einverstanden sein, etwa wegen Befangenheit, kann sie dies beanstanden. Die Fachgesellschaften und der vsao achten aber darauf, möglichst keine Visitierenden einzusetzen, die in den letzten fünf Jahren an der betreffenden Weiterbildungsstätte gearbeitet oder eng mit ihr kooperiert haben.

Im Unruhestand für die Weiterbildung: Urs von Wartburg engagiert sich seit 15 Jahren als Visitator.

Im Unruhestand für die Weiterbildung: Urs von Wartburg engagiert sich seit 15 Jahren als Visitator. (Foto: ISFM / Daniel Rodriguez)

Welche Themen bedürfen bei Visitationen immer wieder der Diskussion?
Am häufigsten ansprechen müssen wir die vier Stunden strukturierte Weiterbildung pro Woche, die nicht oder unzureichend erfüllt sind. Wobei wir Verständnis dafür haben, dass diese Anforderung je nach Grösse des Fachgebiets bzw. der Weiterbildungsstätte nicht einfach zu realisieren ist: Bei 20 oder 30 Assistenzärztinnen und Assistenzärzten ist die strukturierte Weiterbildung besser institutionalisierbar als bei nur drei oder vier. Hier sind Abwesenheiten wegen Kompensation, Ferien, Teilzeitarbeit oder auch Notfalleinsätzen wesentlich schwieriger aufzufangen. Deshalb fragen wir in solchen Fällen nach der Qualität der sonstigen Betreuung. Wenn diese überzeugt, soll ein gewisser Pragmatismus gelten dürfen. Weitere bekannte Herausforderungen sind das Einhalten der Arbeitszeiten und das Übermass an administrativer Arbeit. Manchmal lohnt sich auch die Frage nach der Vorbereitung der Weiterbildenden und ihrer Begleitung, sowie der Hinweis auf didaktische Fortbildungen, wie sie unter anderem das SIWF mit den «Teach the teachers»-Workshops anbietet.

Was bewirkt eine Visitation über die Anerkennung als Weiterbildungsstätte hinaus?
​​​​​​​Natürlich dient die Visitation der Qualitätssicherung und ist als solche Voraussetzung für die Anerkennung. Diese wiederum trägt offiziell zum guten Ruf eines Hauses bei, etwa bei Behörden und auch beim potenziellen Nachwuchs. Zudem bestätigt die Anerkennung die Art der Weiterbildung einer Institution durch die Zuteilung einer Kategorie, welche beispielsweise über die Grösse oder das medizinische Spektrum einer Institution Aufschluss gibt. Die Kategorie per se sagt aber wenig über die Qualität der Weiterbildung aus, eine A-Klinik ist nicht zwingend besser als eine C-Klinik. Ich erlaube mir den Vergleich mit einer Schule: Ob nur 7 oder 200 Kinder unterrichtet werden, führt schlicht zu einer anderen Organisation der Wissensvermittlung. Neben Anerkennung und Kategorie gibt eine Visitation den Weiterbildungsstätten Gelegenheit, sich über den Stand ihres Weiterbildungsangebots klar zu werden, allfälliges Potenzial zu erkennen und darauf zu reagieren. Zudem ist eine Visitation eine Chance auf professionelles und individuelles Feedback, das durchaus nicht nur Verbesserungsvorschläge oder Auflagen, sondern auch Bestätigung und Wertschätzung mit sich bringt.

Aufschlussreiche Einzelgespräche mit Assistenzärztinnen und Assistenzärzten.

Aufschlussreiche Einzelgespräche mit Assistenzärztinnen und Assistenzärzten. (Foto: ISFM / Daniel Rodriguez)

SIWF-Workshop für Visitatorinnen und Visitatoren

Am 12. Februar 2025 lädt das SIWF aktuelle und künftige Mitglieder seiner Visitationsteams zu einem Workshop in Bern ein. Lassen Sie sich zu Hintergrund und Aktualitäten der Visitationen auf den neusten Stand bringen und tauschen Sie sich mit Kolleginnen und Kollegen aus – das SIWF freut sich auf Sie! Melden Sie sich gerne über die Visitationsverantwortliche, den Visitationsverantworlichen Ihrer Fachgesellschaft an.

Was tut das SIWF selbst für die gute Qualität seiner Visitationen?
Das SIWF koordiniert seit 21 Jahren Visitationen. In dieser Zeit wurden sowohl Abläufe wie auch Unterlagen stetig verbessert und vereinheitlicht, wodurch ein gewisser Standard gewährleistet ist. Zudem sind viele Visitierenden sehr erfahren. Sowohl das SIWF als auch der vsao legen ausserdem grossen Wert darauf, neue Visitatorinnen und Visitatoren gut auf ihre Aufgabe vorzubereiten. Sie können erst als Gast bei einer Visitation dabei sein und sich an den Visitations-Workshops des SIWF und des vsao die Grundlagen für diese Tätigkeit aneignen. Dazu gehört auch, dass neue Visitierende zu Beginn mit geübten Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten. Überhaupt ist die fachlich heterogene Zusammensetzung des dreiköpfigen Visitationsteams ein wichtiger Qualitätsfaktor, weil sie stets für drei verschiedene Wahrnehmungen sorgt. Dies trägt stark zur zuverlässigen Beurteilung einer Weiterbildungsstätte bei. Zentral ist auch die erwähnte Wahrung der Anonymität aller Interviewten, die Leitungsperson einmal ausgenommen. Ferner scheint es mir wesentlich, dass das Visitieren ein freiwilliges Engagement ist: Visitierende wissen, dass sie fachlich und menschlich Entscheidendes zur guten Perspektive des ärztlichen Nachwuchses beitragen können.

Wann ist in Ihren Augen eine Visitation gelungen?
​​​​​​​Wenn sich unsere Erwartungen aufgrund der vorbereitenden Lektüre mit der Realität decken. Das bedeutet meistens, dass eine Institution kompetent weiterbildet, sich mit der einen oder anderen Empfehlung noch etwas verbessern kann und wir damit im Prinzip offene Türen einrennen. Und natürlich gibt es auch die schönen Fälle, in denen sich eher kritische Erwartungen in Luft auflösen, weil die Weiterbildung eines Hauses ausgezeichnet funktioniert. Eine Visitation ist stimmig, wenn wir auch kritische Punkte in einer kollegialen Weise haben besprechen können und man mit dem Gefühl auseinandergeht, dass die Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung in guten Händen sind.

Visitationen: warum und wie viele

Das SIWF ist vom Bund mit der Anerkennung der Weiterbildungsstätten (WBS) mandatiert. Die Visitationen sind ein zentrales Element der dafür nötigen Evaluation bzw. Re-Evaluation von WBS (bei Leitungswechsel) sowie der Prüfung zur Umteilung der Kategorie: Das Visitationsteam verfasst einen Bericht zuhanden der fachlich zuständigen Weiterbildungsstättenkommission (WBSK) des SIWF mit dem Recht, Empfehlungen und Auflagen vorzuschlagen oder sehr selten einen Antrag auf Rückstufung der Kategorie zu stellen. Der Visitationsbericht dient den jeweiligen WBSK als Grundlage für den Anerkennungsentscheid. Auch Lehrpraxen sind WBS, welche die zuständige WBSK nicht über Visitationen, jedoch formell über die Anmeldung der Assistenzärztinnen und -ärzte einer Praxis anerkennt (Anerkennung ad personam). In der Schweiz gibt es rund 5 200 WBS. 2 500 davon sind Spitäler und Kliniken, 2 700 Lehrpraxen. Zurzeit finden zur Sicherung der Weiterbildungsqualität rund 200 Visitationen pro Jahr statt, Tendenz steigend. Weitere Informationen: www.siwf.ch › Weiterbildungsstätten

Werde vsao-Visitator/Visitatorin!

«Als vsao-Visitator erhalte ich einen spannenden Einblick in andere Klinikbetriebe und kann direkt an konkreten Verbesserungen der ärztlichen Weiterbildung mitwirken. Ich schätze den konstruktiven Austausch mit allen Beteiligten und profitiere von den Gesprächen mit Verantwortlichen und Mitarbeitenden vor Ort sowie innerhalb des Visitationsteams. Nicht zuletzt lassen sich bei Visitationen auch wertvolle Kontakte knüpfen», weiss Richard Mansky aus eigener Erfahrung.

Der Verband Schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (vsao) sucht laufend Mitglieder aus allen Fachrichtungen für seinen Visitations-Pool. Engagieren auch Sie sich für gute Weiterbildungsbedingungen! Erfahren Sie mehr an einem vsao-Visitationstreffen. Weitere Informationen erhalten Sie per E-Mail an: [email protected]

Das nächste vsao-Visitationstreffen findet am 12. Februar 2025 um 18 Uhr als Hybrid-Veranstaltung in der Geschäftsstelle des vsao Schweiz (Bollwerk 10, 3001 Bern) sowie virtuell statt.

Richard Mansky, Leitung Ressort Weiter- und Fortbildung vsao

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