Die SIWF-Projektförderung setzt dort an, wo engagierte Bildungsexpertinnen und -experten Wege sehen, die ärztliche Weiterbildung trotz knapper Ressourcen voranzubringen und zukunftsfähig zu gestalten. Dabei liegt viel Potenzial in digitalen Instrumenten, die in allen Förderprojekten des Jahre 2023 in unterschiedlicher Form zum Einsatz kommen. So hat das Surgical Skills und Training Lab des Kantonsspitals Baselland Virtual-Reality (VR)-Brillen und haptische Arme eingeführt und das Weiterbildungsnetzwerk NICE für Intensivmedizin des Luzerner Kantonsspitals eine E-Learning-Plattform zur optimalen Vorbereitung von Präsenz-kursen sowie Netzwerk-Ausbildungstagen aufgebaut; an der Universität Zürich wurde eine interprofessionelle Weiterbildung in Fehlerkommunikation lanciert, welches KI-gestütztes E-Learning mit Simulationstraining verbindet.
VR-Training in der Orthopädie
Weshalb es dieses Projekt braucht: Michael Hirschmann: Sowohl die Ökonomisierung der Medizin als auch die immer kürzer werdende Arbeitszeit sind grosse Herausforderungen für die ärzt-liche Weiterbildung. Die chirurgischen Fächer betrifft dies ganz besonders, weil sich hier die Assistenzärztinnen und -ärzte neben dem theoretischen Wissen auch das operative Handwerk aneignen müssen. Diese Situation liess uns das bisherige Weiterbildungskonzept hinterfragen, da es für die praktische Ausbildung nur den Operationssaal vorsieht. So kam es 2022 zur Gründung des Surgical Skills und Training Lab am Kantonsspital Baselland. Dieses steht allen Chirurgie-Weiterzubildenden des Hauses rund um die Uhr zur Verfügung. Hier können sie sich an den unterschiedlichsten Tools selbstständig und ohne Zeitdruck das Handwerk aneignen, etwa beim Sägen von Kunstknochen mit Originalinstrumenten, beim Nähen von Kunsthaut oder am Arthroskopie-Simulator. Dank der SIWF-Projekt f örderung haben nun auch weitere Virtual- bzw. Augmented- Reality-Tools im Training Lab Einzug gehalten.
Dafür sorgte die SIWF-Projektförderung: Das Fördergeld des SIWF leistete einen wesentlichen Beitrag zur Ans chaffung von VR-Brillen mit haptischen Armen. Damit begeben sich die Nutzenden nicht nur in einen virtuellen Operationssaal, sondern sie spüren auch die diversen Instrumente wie Sägen oder Bohrer in der Hand; darüber hinaus erhalten sie haptisches Feedback, etwa beim Kontakt mit dem virtuellen Knochen oder beim Positionieren einer Schraube. So kann man beispielsweise eine Knieprothesen-Operation mit einiger Realitätstreue simulieren. Wie stark der handwerkliche Lerneffekt des VR-Trainings tatsächlich ist, lässt sich meines Erachtens zwar kaum beziffern. Was es aber ganz deutlich verbessert, ist das Verständnis der einzelnen Schritte einer Operation. Entsprechend können sich die jungen Kolleginnen und Kollegen rascher aktiv einbringen, was offensichtlich attraktiv ist: Unsere Bewerbungslage ist sehr gut, was nicht so viele Kliniken in der Schweiz von sich sagen können. Auch haben wir eine geringere Fluktuation, die natürlich eine schöne Kontinuität schafft.
So geht es weiter: Zurzeit diskutieren wir klinikintern, in welcher Form wir das VR-Training in unseren Weiterbildungskatalog integrieren wollen: Wie viele Übungseinheiten setzten wir wann im Curriculum voraus, bis die Assistenzärztinnen und -ärzte an einer Operation mitwirken können? Sobald wir hier einen Rahmen gefundenen haben, werden wir unsere Erfahrungen in einem Leitfaden für andere interessierte Ausbildungsinstitute zugänglich machen. Zudem sind wir am Abschliessen einer Begleitstudie zur Nutzung und dem Effekt der VR-Tools. Uns liegt daran, mit dieser Publikation auch die akademische Diskussion dieser innovativen Weiterbildungsmethode anzustossen. Denn wir müssen der jungen Ärzteschaft neue Lernerfahrungen im eigenen Tempo ermöglichen. Zudem scheinen mir einigermassen kompakte «smarte» Tools wie das bei uns eingeführte Set aus VR-Brille und haptischen Armen eine zukunftsfähige Lösung zu sein: Sie sind auch für kleinere Häuser finanzierbar und haben das Potenzial, unterschiedlichste Skills zu vermitteln.
Prof. Dr. med. Michael Hirschmann, Chefarzt Klinik für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates, Kantonsspital Baselland.
Kontakt: [email protected]
Netzwerk NICE für Intensivmedizin Weshalb es dieses Projekt braucht: Johannes Strehler: NICE, das Network for Intensive Care Education, wirkt den begrenzten zeitlichen und personellen Ressourcen auf intensivmedizinischen Stationen entgegen. Es handelt sich um eine Online-Plattform, die standardisierte Lernmaterialien in attraktiver Form zum Selbststudium auf mobilen Endgeräten zugänglich macht. Damit können sich Assistenzärztinnen und -ärzte individuell zu einer frei wählbaren Zeit auf die entsprechende Präsenz-Weiterbildung vorbereiten – 75 % bis 80 % von ihnen tun dies auch, notabene in ihrer Freizeit. Das Teaching selbst lässt sich dadurch sehr praxisorientiert und interaktiv gestalten, was enorm geschätzt wird. Ferner sind diese Weiterbildungen dank der guten theoretischen Grundlagen aller Teilnehmenden nicht nur für die Rotationsärzteschaft interessant, sondern auch für künftige Inten-siv medizinerinnen und -mediziner. Denn tatsächlich verbringen 50 % bis 75 % der Weiterzubildenden nur ihre Rotationszeit auf der Intensivmedizin, da sie eine andere Facharztausbildung anstreben. So müssen die Basiskompe-tenzen durchschnittlich alle sechs Monate erneut vermittelt werden – eine grosse Herausforderung in einem Schichtbetrieb mit stark variierender, nicht planbarer Arbeitsbelastung.
Dafür sorgte die SIWF-Projektförderung: Mit der Projektförderung können wir den initial relativ hohen administrativen Aufwand für das Einpflegen der Kurse in das Online-Lernmanagement-System (LMS) berappen und die Fachärzteschaft davon entlasten. Das gilt ebenso für die Unterstützung anderer NICE-Netzwerkpartner beim Einführen des LMS. Ein kleiner Teil des Fördergeldes fliesst in die wissenschaftliche Aus wer tung der Lernplattformgestützten Weiterbildung. Daneben hat NICE durch die SIWF-Förderung an Bekannt heit gewonnen. Es gibt momentan mehr interessierte Partnerinstitute, als wir aus organisatorischen Gründen ins Netzwerk aufnehmen können. Zudem sind wir mit mehreren Sponsoren im Gespräch. Auch Bewerbungen auf Weiterbildungsstellen erhalten wir deutlich mehr als vorher.
Dr. med. Johannes Strehler EMBA, Co-Chefarzt Zentrum für Intensivmedizin, Kantonsspital Luzern.
Kontakt: [email protected]
So geht es weiter: Die erste Evaluation des LMS sowie der Netzwerk-Weiterbildungen von NICE wird bald publiziert. Eine zweite, vertiefende Studie mit Fokusinterviews ist in Planung: Wir wollen genauer erfahren, was die Vor- und Nachteile des NICE-LMS’ gegenüber traditionellen Weiterbildungen sind und wie wir uns verbessern können. Es ist uns wichtig, diese Erkenntnisse in die Fachwelt hinauszutragen, denn es gibt in unserm Fachgebiet noch wenig Forschung dazu. Wir sind überzeugt, dass wir die intensivmedizinische Weiterbildung auf diese Weisevoranbringen können – angesichts des Nachwuchsmangels ein Muss. Nicht zuletzt profitieren auch die Pflegefachkräfte vom LMS, was die interprofessionelle Zusammenarbeit stärkt. Die bisherigen Rückmeldungen zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind: Die jungen Kolleginnen und Kolleginnen fühlen sich angesprochen von der Mischung aus gut aufbereiteter, individuell anzueig-nender Theorie und aktivem, ja spielerischem und dennoch effizientem Unterricht, der Spass macht! Was Lernen im Idealfall sollte.
Fehler richtig mitteilen lernen
Weshalb es dieses Projekt braucht: Michaela Kolbe: Fehler offenlegen können ist zentral für die Sicherheitskultur einer Gesundheitsinstitution. Deshalb wird auch viel darüber gesprochen: Wie erreichen wir, dass die Betroffenen – Patientinnen und Patienten, Angehörige und verantwortliche Gesundheitsfachleute – die Situation möglichst ohne Trauma bewältigen können? Gleichzeitig wird im Allgemeinen zu wenig getan, gerade punkto Training, weil Fehlerkommunikation noch immer auch ein Tabuthema ist. Das Geradestehen für einen Fehler, zu dem man selbst oder ein Teammitglied beigetragen hat, fordert emotional enorm; darüber hinaus ist es eine komplexe Aufgabe, weil dabei neben der Medizin auch Ethik, Psychologie und Recht ins Spiel kommen. Umso wichtiger ist eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dieser schwierigen Materie, insbesondere fürs Teaching. Denn unzulängliche Kommunikation kann gravierende Folgen haben – sie ist also mitnichten ein Soft Skill. Eine aktive Patientensicherheitskultur wird am Universitätsspital Zürich (USZ) bereits mit verschiedenen Massnahmen gefördert. Unser Projekt will diese erweitern und ein Faculty-Development-Konzept für professionelles Kommunizieren schaffen, basierend auf der fachübergreifenden EPA 9 zur Sicherheitskultur in der Medizin aus PROFILES.
PD Dr. rer. nat. Michaela Kolbe, Leiterin Simulationszentrum des Universitätsspitals Zürich.
Kontakt: [email protected]
Dafür sorgte die SIWF-Projekt förderung: Wir erhielten dank der Projekt förderung die Möglichkeit, ein interprofessionelles Simulationstraining für Weiterbildende zu konzipieren, durchzuführen und zu evaluieren. Das neue Training soll nach seiner Pilotierung als Blaupause für vergleichbare Kurse dienen, beispielsweise zur Einübung kommunikativ herausfordernder Situationen wie Breaking Bad News oder Advance Care Planning. Hinter dem Projekt stehen drei Inst itutionen des USZ: Die Fachstelle Qualitätsmanagement und Patientensicherheit, die Klinische Ethik und das Simulationszentrum, Diese Zusammenarbeit ermöglichte es uns, die wesentlichen Aspekte dieses komplexen Themas zu berücksichtigen und methodisch innovativ aufzubereiten: Der Kurs ist ein Simulationstraining, in dem viel geübt, beobachtet und reflektiert wird. Das Simulationstraining ist deshalb so wichtig, weil es die Teilnehmenden unmittelbar mit ihren tatsächlichen Fähig keiten konfrontiert. Diese werden von ihnen selbst meist anders wahrgenommen, als sie sich dann beim Üben offenbaren. Eine Erkenntnis, welche als sehr wertvoll rückgemeldet wurde.
So geht es weiter: Die erste Durch führung des Kurses hat uns gezeigt, dass dieses Thema den Teilnehmenden persönlich sehr viel abverlangt. Diesem Umstand werden wir bei der Weite rentwicklung des Trainings Rechnung tragen, denn klar ist: Wer das Offenlegen von Fehlern unterrichten will, muss dessen hohe psychologische Anforderungen aus eigener Erfahrung kennen. Unser Ziel ist es, so wohl «Safety Culture Champions» und «First»- und «Second Victim»-Coaches fundiert auszubilden, wie auch Trainer und Trainerinnen, welche diese anspruchsvolle Fähigkeit vermitteln können. Dafür werden wir die neue Fortbildung ins reguläre Kurs programm des Simulationszentrums integrieren. Dieses steht allen interessierten Fachleuten offen. Ist das Training konsolidiert, soll es auch anderen Organisationen zur Verfügung gestellt werden. Dabei wird uns KI helfen: Wir sind intensiv daran, die E-Learnings des Trainings mit KI individualisierbarer zu machen. Darüber hinaus wollen wir KI nutzen, um Skills wie das Formulieren einer Entschuldigung und das Reagieren auf verschiedene emotionale Reaktionen effektiver zu trainieren, als es mit den heute genützten didaktischen Mitteln möglich ist.
Prof. Dr. med. Michael Hirschmann, Chefarzt Klinik für Orthopädie und Traumatologie des Bewegungsapparates, Kantonsspital Baselland.
Kontakt: [email protected]
Dr. med. Johannes Strehler EMBA, Co-Chefarzt Zentrum für Intensivmedizin, Kantonsspital Luzern.
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PD Dr. rer. nat. Michaela Kolbe, Leiterin Simulationszentrum des Universitätsspitals Zürich.
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