Die Vorgeschichte des letzten Abstimmungssonntags hätte spannender kaum sein können: Nachdem sich in der ersten Oktoberhälfte in Umfragen noch eine Mehrheit von 61 % für die einheitliche Finanzierung ausgesprochen hatte, lag das JA-Lager Anfang November mit 54 % nur noch knapp vorne. Der Trend ging zum NEIN – und es war kaum absehbar, ob sich diese negative Entwicklung so fortsetzen und die ganze Reform bachab schicken würde.
Zittern bis zum Schluss
Umso grösser war die Erleichterung, die am 24. November ab 12 Uhr mit den ersten Prognosen eintrat. Relativ schnell wurde deutlich, dass die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Leistungen (EFAS) angenommen würde – im Gegensatz zu allen anderen nationalen Vorlagen. Neben einem Nein zum Ausbau der Autobahnen und zwei Neins zu Veränderungen des Mietrechts, konnte einzig die neue Finanzierung im Gesundheitswesen das Stimmvolk mit 53 % überzeugen.
Eine historische Reform
Mit dieser Entscheidung ist eine historische Reform gelungen. 15 Jahre nachdem Ruth Humbel ihren Vorschlag im Parlament eingereicht hatte, stand ein in harten sachpolitischen Auseinandersetzungen errungener und mit viel Expertise austarierter Kompromiss zur Abstimmung. Und erstmals seit Einführung des Krankenversicherungsgesetzes im Jahr 1996 hiess das Volk eine tiefgreifende Reform ebendieses Gesetzes gut.
Geringes Vertrauen in die Behörden
Dieser Erfolg ist aus vielen Gründen bemerkenswert. Zum einen stellte das derzeit geringe Vertrauen in die Behörden eine Herausforderung dar. Gerade wenn es um Zahlen geht, ist die Bevölkerung skeptisch. Nach falschen Angaben zur Heiratsstrafe, umstrittenen Prognosen zur AHV, Diskussionen um Prozente bei Prämien und Kostenbremse und der kollektiven Verwirrung bei der BVGReform, versuchten die Gegner auch bei EFAS die Verunsicherung zu befeuern: Die Reform lasse die Prämien steigen und nicht sinken, behaupteten sie. So verbreitete sich der Eindruck, niemand könne die Folgen dieser Reform wirklich absehen.
Entlastung der Prämienzahlenden
Selbstverständlich lassen sich die Folgen umfassender Reformen kaum über mehrere Jahrzehnte exakt prognostizieren. Dennoch ist die Entscheidung für EFAS keine riskante Fahrt ins Ungewisse. Auch abseits aller Zahlen ist rein logisch nachvollziehbar, dass die neue Finanzierung die Prämienzahlenden entlasten wird: Wir behandeln immer weniger stationär und immer mehr ambulant. Solange aber nur Spitalaufenthalte aus Steuergeldern bezuschusst werden während ambulante Behandlungen allein aus Prämien bezahlt werden, führt dies zu einem einseitigen Wachstum der Prämien. EFAS war damit zwingend erforderlich, um den Prämienzahlenden nicht einen immer grösseren Teil der Kosten zu überbinden.
Komplexität begünstigt Angstkampagnen
Neben ambulanten und stationären Behandlungen ging es jedoch auch um die Finanzierung der Pflege – und diese Komplexität nutzten die Gegner für eine Angstkampagne und schürten die Verunsicherung der Stimmbevölkerung um ein Nein zu erreichen. Für uns Befürwortende war darum entscheidend, dass möglichst viele profilierte Gesundheitspolitiker und -politikerinnen von links bis rechts für EFAS eintraten und die Bedeutung eines JAs erklärten: Denn umso komplexer eine Reform ist und umso weniger Menschen deren Auswirkungen selbst abschätzen können, umso stärker orientieren sie sich an denjenigen, denen sie vertrauen.
Unverzichtbares Engagement der Fachpersonen
Ausschlaggebend für den Erfolg am 24. November war darum auch die starke Allianz der Akteure des Gesundheitswesens. Nicht nur die Verbandsspitzen zogen an einem Strick, auch viele Mitglieder zeigten einen hohen persönlichen Einsatz: Gedankt sei hiermit allen Ärztinnen und Ärzten und vielen anderen Fachpersonen, die früh morgens in der Kälte an den Bahnhöfen Flyer verteilten. Gedankt sei all denjenigen, die Testimonials, Social-Media-Beiträge oder ihren Whatsapp-Status teilten, die Informationen in ihren Wartezimmern ausgelegt oder in persönlichen Gesprächen über EFAS informiert haben! Dieses Engagement war unverzichtbar, dies zeigt die letztlich eher knappe Mehrheit von 53 %: Wenn unser Gesundheitswesen eine gute Zukunft haben soll, können wir es uns nicht mehr leisten unser berufliches und politisches Engagement voneinander zu trennen! Wir dürfen uns nicht nur im Berufsalltag für eine gute Patientenversorgung einsetzen, sondern sollten dies auch als politische Menschen und Stimmbürgerinnen tun.
Gemeinsam im Einsatz für die Versorgung
Unser lösungsorientiertes und gemeinsames Agieren gefällt natürlich nicht allen. Während früher kritisiert wurde, die Akteure des Gesundheitswesens seien nur auf die je eigenen Interessen bedacht, heillos zerstritten und bräuchten dringend eine Ansage aus der Politik, wird nun ihr gemeinsames Engagement für ein übergreifendes Ziel als bedrohlicher Lobbyismus diskreditiert. Doch es dürfte offensichtlich sein: Wenn Kantone und Versicherer, Konsumenten- und Patientenorganisationen, Verbände vieler Gesundheitseinrichtungen sowie unzählige Berufsverbände des Gesundheitswesens einen Kompromiss gutheissen, hat das sicher nichts mit einer bösen Lobby zu tun. Hier setzen sich Menschen, die unser Gesundheitswesen gut kennen, dafür ein, dass es verbessert wird, damit es weiterhin gut funktionieren kann.
Herausforderungen bleiben
So erfreulich das Abstimmungsergebnis ist, so sehr zeigt es auch, wo wir besser werden können. Der Röstigraben klaffte so weit wie selten. Obwohl gerade die Westschweiz durch EFAS von Prämienentlastungen profitieren wird, überzeugten dort ausgerechnet jene Kräfte, die für die hohen Prämien verantwortlich sind. Es gilt nun mit den Verbesserungen der Zukunft auch diejenigen zu gewinnen, die wir mit unseren Argumenten nicht erreicht haben. Die neue einheitliche Finanzierung und der neue Tarif eröffnen viele Chancen für Fortschritte in der Ambulantisierung und integrierten Versorgung sowie für Qualität und Kosteneffizienz. Dem Abstimmungskampf folgt jetzt die Umsetzung: Diese Arbeit wird leiser sein, aber nicht weniger intensiv – denn sie bewegt sich weiter, die Gesundheitspolitik.