Die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen steht vor einem entscheidenden Wendepunkt. Während die elektronischen Krankengeschichten (Praxisinformationssysteme, PIS) bereits bei ca. 80 % der Ärzteschaft etabliert sind, bleibt das elektronische Patientendossier (EPD) mit einer Nutzungsrate von unter 1 % seitens der Versicherten ein umstrittenes Thema [1,2]. Die Diskrepanz zwischen den Fortschritten in der internen Digitalisierung und der sektorenübergreifenden Vernetzung zeigt die Komplexität der Transformation bzw. den nächsten Digitalisierungsschritt auf. Vor diesem Hintergrund müssen Chancen und Risiken sorgfältig abgewogen werden – für die Ärzteschaft, als auch für die Bevölkerung. Die Ärzteschaft könnte von vereinfachten Arbeitsabläufen und Informationsaustausch profitieren, die Bevölkerung von einer gesicherten Verfügbarkeit ihrer Gesundheitsdaten durch die behandelnden Gesundheitsfachpersonen. Zu den Risiken und Herausforderungen zählen unter anderem der Datenschutz, die Frage der Zugriffsrechte, die Kosten, rechtliche Bedenken und die Praxistauglichkeit.
Ein Barometer macht bekanntlich nicht das Wetter, sondern misst bloss den Luftdruck. Genauso liefert das eHealth Barometer keine Lösungen, sondern Informationen für eine Prognose, mit der man weiter planen kann. Wo stehen wir heute?
Die aktuelle Situation
Die Schweiz belegt im Digital Health Index Platz 14 von 17 untersuchten Ländern – es besteht somit ein eindeutiger Aufholbedarf [3]. Trotz einer sehr aktiven IT-Szene mit grossem Know‑how und einer hohen digitaler Kompetenz bei der Bevölkerung fehlen strukturierte Rahmenbedingungen. Im Praxisalltag merken wir dies hauptsächlich im Bereich des Datenaustausches oder der Migration in ein anderes PIS.
Das DigiSanté-Programm des Bundes (2025 – 2034) mit 50 Vorhaben zur Förderung der digitalen Transformation ist bei der Ärzteschaft weitgehend unbekannt: 85 % der befragten Mediziner:innen haben noch nie davon gehört [1]. Gleichzeitig zeigt das eHealth-Barometer 2025, dass 80 % der Ärzteschaft die elektronischen Krankengeschichten (eKG) vollständig digital führen [1,4]. Diese Daten zeigen eindrücklich, dass sich die Ärzteschaft der Digitalisierung nicht verschliesst. Wo die Lösungen praxistauglich und sinnstiftend sind, ist die Akzeptanz der Digitalisierung hoch.
Status quo und Akzeptanzprobleme beim EPD
Der Erfolg bei den eKG lässt sich jedoch nicht auf das EPD übertragen. Nur 16 % der Ärzteschaft nutzen das EPD – bei den Spitalärzt:innen 20 %, bei den Praxisärzt:innen 15 % [1]. Die Registrierung erfolgt zu 42 % aufgrund gesetzlicher Vorgaben, erst 33 % nennen die Verbesserung der Patientenversorgung als Hauptmotiv [1]. Diese Skepsis spiegelt sich auch in der Empfehlungsrate wider: Nur 21 % der Praxisärzt:innen empfehlen das EPD aktiv, bei den Spitalärzt:innen sind es 44 % [1].
Unterschiedliche Perspektiven zwischen Spital und Praxis
Während Spitäler den gesetzlichen Vorgaben folgend das EPD als Teil der Infrastruktur akzeptieren, sehen Praxisärzt:innen darin kaum einen Mehrwert. Die Kritikpunkte umfassen die fehlende Integration in den Behandlungsalltag. Medikations- und Rezeptdaten sowie Laborbefunde werden dabei als prioritär genannt, aber systemübergreifend nicht ausgetauscht [1]. Weil insbesondere die Tiefenintegration in die PIS fehlt, stellt zudem die Benutzerfreundlichkeit ein grosses Problem dar.
Chancen und Potenziale der Digitalisierung
Dabei bestünde mit der Digitalisierung durchaus ein Potential für medizinische und wirtschaftliche Effizienzsteigerungen. Laut einer McKinsey-Studie könnte dank der Digitalisierung jährlich 8,2 Mrd. CHF eingespart werden – etwa 11,8 % der adressierbaren Gesundheitsausgaben [4]. Tabelle 1 zeigt das Einsparpotenzial nach Bereichen gegliedert.
Auch die Patientensicherheit könnte weiter erhöht und die interdisziplinäre Zusammenarbeit vereinfacht werden. Das EPD ermöglicht bei einem Notfall den Zugriff auf relevante Daten und kann helfen Medikationsfehler zu reduzieren. 79 % der Gesundheitsfachpersonen sehen dies denn auch als Kernvorteil [1]. Gleichzeitig bleibt aber die externe Vernetzung mit Reha-Kliniken, Pflegeheimen oder Hebammen weiterhin sehr schwach [1].
Herausforderungen und Hindernisse
Während die Bevölkerung Bedenken bezüglich Datenlecks und Missbrauch äussert, ist beim EPD das Vertrauen seitens Ärzteschaft relativ hoch [1,4]. Das EPD wird grundsätzlich auch als «sinnvolle Ergänzung im Notfall» gesehen. Aufgrund der fehlenden Praxistauglichkeit wird es allerdings kaum in den Behandlungsalltag integriert [1,4].
Kritisch werden auch technische und organisatorische Hürden gesehen, wie beispielsweise die Interoperabilität mit fehlenden Schnittstellen zwischen PIS, Klinikinformationssystemen und EPD [1]. Zudem werden fehlende Standards bemängelt, wobei 70 % der IT-Verantwortlichen in Spitälern die eHealth-Standards für «nicht bis wenig fortgeschritten» halten [1]. Auch wird die Finanzierung als bedeutende Herausforderung angesehen [1].
Die Skepsis der Praxisärzt:innen gegenüber dem EPD ist in der Tabelle 2 zusammengestellt.
Wo sieht der eHealth Barometer Handlungsmöglichkeiten
Bei den Ärzt:innen werden praxisnahe Workshops zur EPD-Nutzung, insbesondere für chronisch Erkrankte und die Förderung sektorenübergreifender Kooperationen (z. B. Medikationsmanagement) vorgeschlagen. Auch die Praxistauglichkeit wird angesprochen und die Einbindung von Ärzt:innen in die Weiterentwicklung des EPD gefordert.
Auf der politischen Ebene wird derzeit, im Gegensatz zur früheren dezentralen Strukturierung, eine Zentralisierung auf Bundesebene zur Umsetzung des EPD gefordert, um die Infrastruktur sicherzustellen [1].
Die Kosten sollen eindeutig zwischen Bund und Kantonen, wie im EPDG-Revisionsentwurf vorgesehen, aufgeteilt werden [1].
Langfristig gilt es, die Interoperabilität zu priorisieren – besonders bei Medikationsdaten und Laborbefunden sowie auch anderen Untersuchungsbefunden oder Impfplänen [1]. Die Einführung eines nationalen Forschungsdatenraums wird von 65 % der Ärzteschaft befürwortet, sofern die Patient:innen dazu einwilligen [1].
Fazit: Appell zur Zusammenarbeit
Die Digitalisierung des Schweizer Gesundheitswesens ist kein Selbstläufer, sondern erfordert konkrete Handlungen. Während elektronische Krankengeschichten bereits fast flächendeckend in den Praxisalltag integriert sind, kommt die Interoperabilität der Systeme kaum vom Fleck. Daran konnte auch das EPD in der vorliegenden Form bisher kaum etwas ändern. Das eHealth Barometer zeigt eindeutig auf, dass die Akzeptanz für das EPD nicht aus einer Verweigerung der Digitalisierung, sondern aufgrund berechtigter Vorbehalte und vor allem mangelnder Praxistauglichkeit eher tief ist. Der Ansatz, den das EPD verfolgt und vor allem der Anspruch, dass die Systeme in Zukunft interoperabel arbeiten sollten und so eine sichere und möglichst effiziente Patientenversorgung sichergestellt werden kann, ist unzweifelhaft auch im Sinne der Ärzteschaft. Entscheidend wird sein, dass alle Stakeholder - Ärzteschaft, Politik und Patient:innen gemeinsam an praxistauglichen und korrekt finanzierten Lösungen arbeiten.
Die Lektüre des eHealth Barometer 2025 ist spannend, weil Trends über die Jahre ersichtlich werden und die Statistiken mit Grafiken veranschaulicht werden. Ein Überfliegen oder auch eine vertiefte Lektüre des Barometers lohnt sich.