Als am 21. März die Frühjahrssession im Bundeshaus endete, konnte die FMH gemeinsam mit sämtlichen Akteuren des Gesundheitswesens einen grossen Erfolg verzeichnen: Das zweite Kostendämpfungspaket wurde verabschiedet – und dies ohne den darin ursprünglich geplanten neuen Leistungserbringer. Was können wir aus der Geschichte dieses Gesetzes über Politik lernen?
Gut überlegtes Agieren statt emotionaler Schnellschüsse
Die bürokratische Überregulierung mit Hilfe der sogenannten «Netzwerke zur koordinierten Versorgung» konnte nur abgewendet werden, weil sich die Akteure der Gesundheitsversorgung gut koordiniert zu den richtigen Zeitpunkten und an den richtigen Stellen eingebracht haben. Bereits in den im Oktober 2022 sehr knapp angesetzten ersten parlamentarischen Hearings platzierten wir unsere Argumente und zeigten Alternativen auf – um anschliessend den Prozess langfristig eng zu begleiten [1, 2].
Die Expertise aus der Praxis wird gerne ignoriert
Die weiteren Entwicklungen rund um den neuen Leistungserbringer im Kostendämpfungspaket II zeigten deutlich, wie bitter nötig dieses hartnäckige und professionelle Engagement war. Denn trotz nachdrücklicher Warnungen sämtlicher Betroffener – von den Hausärzten und Netzwerken über die Spitäler und Verbände diverser Gesundheitsberufe bis hin zu den Versicherern – perlte die Expertise der Praxis an vielen politische Akteuren ab. Selbst die an drei runden Tischen im BAG eingeholte Praxisexpertise wurde im Bericht der Bundesverwaltung in den Anhang verbannt – der dann im weiteren politischen Prozess verschwand.
Schadensminderung ist aufwendig – und undankbar
Für das Gesundheitswesen sind die vielen «gut gemeinten» Vorstösse des Parlaments zu einem echten Problem geworden, zumal Praxisexpertise oft nur dort gehört wird, wo sie die eigenen Pläne zu stützen scheint. Der FMH und anderen Akteuren verursachen die vielen fragwürdigen Verbesserungsvorschläge einen hohen Aufwand. Sie drängen die Akteure zudem in eine reaktive Verhinderer-Rolle – und binden Ressourcen, die wir lieber konstruktiv für Lösungen einsetzen würden. Unser erzwungener Einsatz in der Schadensminderung ist zudem für unsere Mitglieder kaum sichtbar: Kaum jemand realisiert, welche Probleme in der Patientenversorgung nicht aufgeschlagen sind.
Pink-Panther-Prinzip: Wer eine Idee mag, bringt sie immer wieder
Ein anderes Problem der politischen Arbeit ist oft: Wer eine Idee für gut hält, bringt sie immer wieder in den parlamentarischen Prozess ein – egal wie oft sie bereits abgelehnt wurde. Was im Kontext von Volksinitiativen als «Zwängerei» kritisiert wird, ist im Parlament Alltag. Auch der neue Leistungserbringer dürfte uns bald wieder begegnen. Das Vorhaben war ja bereits im Kanton Waadt abgelehnt worden, bevor es über das BAG seinen Weg in das Kostendämpfungspaket II fand. Und im Vorfeld der nun neuerlichen Ablehnung betonten Parlamentarier, dass «die Diskussion darüber mehr Zeit» brauche [3]. Selbst die Bundesrätin führte mit grossem «Bedauern» noch einmal alle angeblichen – und klar widerlegten – Vorteile der gescheiterten Regulierung an [3]. Es dürfte folglich eine Frage der Zeit sein bis das Vorhaben – dem Pink-Panther-Prinzip folgend – erneut auftaucht.
«Ich komm wieder, keine Frage»: So wie der Pink Panther kommen viele Gesetze im Parlament trotz vieler Ablehnungen immer wieder.
Die sogenannte «Vertragsfreiheit» der Kassen ist ein Pink Panther mit Krückstock
Auch die Aufhebung der Vertragspflicht der Krankenversicherer ist ein solcher Pink Panther, der mittlerweile schon graues Fell aufweisen dürfte: Seit fast 30 Jahren wird sie immer wieder von Neuem im Parlament eingebracht. Der Artikel zur Geschichte der Vertragspflicht in dieser digitalen Aufgabe [4] zeigt klar auf, wie häufig diese im Parlament diskutierte Option bereits verworfen wurde, weil sie von den Linken bis zu den Bürgerlichen nie richtig überzeugen konnte.
Pink-Panther-Politik lässt die Gesetzestexte explodieren
Das Pink-Panther-Prinzip führt nicht nur dazu, dass wir beständig dieselben gescheiterten Ideen diskutieren müssen, es lässt auch die Zahl der Gesetze explodieren. Zum Beispiel wurden während der sich über Jahrzehnte ziehenden Diskussionen zur Vertragspflicht eine Unmenge alternativer Gesetze erlassen, weil das Parlament die mit der «Vertragsfreiheit» vermeintlich adressierten Problem anders lösen wollte. Neben einer differenzierten Zulassungsgesetzgebung wurden verschiedenste weitere Gesetze zur Mengensteuerung und Qualitätssicherung verabschiedet. Nun wird die sogenannte «Vertragsfreiheit» erneut lanciert – um als zusätzliche Regulierung ergänzt zu werden – ohne ein einziges anderes Gesetz zu streichen.
Konkrete Unterstützung inmitten der sich aufschaukelnden Gesetzgebung
Die sich aufschaukelnde Gesetzgebung ist für Fachpersonen des Gesundheitswesens kaum noch zu durchschauen. Die FMH setzt hier nicht nur an der Quelle an, indem sie der Politik die Auswirkungen ihrer Vorhaben in der Praxis aufzeigt. Wir helfen auch unseren Mitgliedern bei der Orientierung im Dschungel der Gesetze. In dieser Ausgabe findet sich darum auch ein Artikel zur neuen Online-Ausgabe unseres Leitfadens «Rechtliche Grundlagen im medizinischen Alltag», in dem FMH und SAMW in zehn Kapiteln und 70 Unterkapiteln die häufigsten Rechtsfragen behandeln [5].
Patientenversorgung braucht keine Ideologie …
Die Dysfunktionalitäten der Gesetzgebung sind nicht zuletzt auch ideologischen Mustern geschuldet. Die Linke neigt dazu sämtliche staatlichen Regulierungen mit wohlklingenden Überschriften wie beispielsweise «Netzwerke» zu unterstützen, die bürgerliche Seite befürwortet hingegen gerne vermeintlich marktfreundliche Vorschläge, wie zum Beispiel die «Vertragsfreiheit» für Krankenkassen. Beide Seiten übersehen oftmals, wenn die von ihnen bevorzugten Vorschläge vollständig praxisuntauglich sind – und im Ergebnis sogar ihren eigenen Zielen zuwiderlaufen.
… sondern gute, praxistaugliche und zukunftsfähige Lösungen
Bringen beide Seiten abgelehnte Gesetze immer wieder neu ein, bis sie zusätzlich zu den zuvor beschlossen Alternativen verabschiedet werden, wächst der Dschungel gesetzlicher Vorgaben. Gerade weil unser Gesundheitswesen eine ausgewogene Mischung aus staatlicher Regulierung und Marktprinzipien ist, ist unsere Patientenversorgung ständig gefährdet, zum Spielball einer Links-Rechts-Polarisierung zu werden. So bleibt es eine grosse Herausforderung der Standespolitik immer wieder zu zeigen, dass «gut gemeint» oft eben nicht «gut gemacht» ist – und Patientenversorgung keine ideologiegetriebenen Pyrrhussiege braucht, sondern gute praxistaugliche und zukunftsfähige Lösungen.